Europas altersschwaches Wassernetz
Interview mit Erik Driessen, Innovation Manager des niederländischen Trinkwasserunternehmens „Vitens“ über Europas löchrige Leitungen und die neu gegründete Initiative „Smart Water for Europe“.
SCC: Herr Driessen, was beschäftigt Sie am meisten, wenn Sie an die Zukunft von Europas Trinkwassernetz denken? Driessen: Die größte Herausforderung für Wasserunternehmen liegt in der alten Infrastruktur; die meisten Wasserleitungen müssten dringend erneuert werden. Die größte Herausforderung innerhalb dieser Herausforderung ist, dass fast die gesamte Infrastruktur unterirdisch verläuft. Aufgrund von Statistiken und Studien über Lebenserwartungen wissen wir, dass ein Großteil der Leitungen am Ende ihres Lebenszyklus stehen. Was wir nicht wissen, ist wann welche Teile versagen werden.
Unsere heutige Lage ist, etwas plakativ formuliert: Wir reinigen Wasser, wir pumpen es in die Leitungen, damit es zu den Haushalten kommt und was dazwischen passiert ist mehr oder weniger eine „Black Box“. Es fehlt an Echtzeit-Informationen.
SCC: Wie wollen Sie das ändern?
Driessen: Vor zwei Jahren haben wir den „Vitens Innovation Playground“ ins Leben gerufen. Es handelt sich um ein Gebiet in Friesland mit ungefähr 2.000 km2 Leitung und rund 200.000 Haushalten. Dort testen wir neue Arten des Monitorings, also Beobachtungsmethoden. Wir haben Technologieanbieter, Universitäten und verschiedene Experten eingeladen, die möglicherweise Lösungen für uns bereitstellen könnten. Jetzt, zwei Jahre später ist das Leitungsnetz mit verschiedensten Sensoren und ICT Lösungen ausgestattet. Wir testen einige Versionen parallel, um herauszufinden welche davon uns fit für die Zukunft machen könnten.
Twitter gegen undichte Leitungen
SCC: Was ist der neueste Stand, wenn es darum geht kaputte Leitungen zu finden? Driessen: Im Moment beschäftigen wir uns viel mit „Big Data“ Analyse. Datenquellen, die ohnehin frei zugänglich sind, wie in Sozialen Netzwerken; Facebook und Twitter. Wir haben Applikationen, die Twitter kontinuierlich nach Wörtern wie „Wasser“, „Unfall“, „Leck“, oder „Vitens“ durchsuchen. In diese Analyse integrieren wir dann auch externe Datenquellen, wie Wettervorhersagen.
Aber wo wir hinkommen wollen, ist ein pro-aktives und manchmal auch präventives System. Ein System, das uns sagt wo es ein Leck gibt, bevor es der Kunde merkt. Oder sogar bevor es auftaucht. Wir arbeiten an Technologien, die uns sagen wo es demnächst eine undichte Stelle geben können; in zehn Minuten oder einer Stunde. Das wäre durch die Analyse „smarter“ Algorithmen und „Verhaltensmuster“ vorheriger Events durch ICT möglich.
SCC: Seit Januar arbeitet Vitens mit anderen Trinkwasserunternehmen in Europa in der Initiative „Smart Water for Europe“ zusammen. Was ist das Ziel der Initiative? Driessen: Wir machen mehr oder weniger, was wir schon bei unserem „Innovations Playground“ machen aber eben zusammen mit anderen Testfeldern in England, Spanien und Frankreich. Alle Testfelder haben ihr spezielles Know-How und ihre eigenen lokalen Herausforderungen über die wir uns austauschen und so voneinander lernen. Außerdem haben Mitarbeiter, die bei uns aktiv waren, Zugang zu den anderen Testfeldern.
SCC: Wann werden Ihre Ergebnisse vom Testfeld auf die „echte Welt“ übertragen?
Driessen: Es gibt jetzt schon Projekte, die sehen was bei uns passiert und sagen: „Wenn ihr Lecks innerhalb einer Stunde entdecken könnt, dann wollen wir das auch.“ Organisationen picken sich also schon die Rosinen aus unseren Projekten heraus. Eine wirklich neue Art der Wasserversorgung wird es wohl in zehn bis 20 Jahren geben. Sie halten das vielleicht für eine lange Zeit aber es gibt einige Faktoren, die eine intelligente Wasserversorgung verzögern. Und der Hauptfaktor ist die Gesetzeslage.
Es gibt eine EU-Verordnung, die uns vorgibt Wasserproben zu nehmen und sie ins Labor zu geben, damit sie auf verschiedene Parameter getestet werden können. Es dauert zwei Tage, bis wir die Ergebnisse haben. Wir glauben, dass Echtzeit-Sensoren ein viel wirksameres und schnelleres Werkzeug wären, um eine verlässliche Wasserversorgung zu garantieren. Wenn es um die Qualität des Trinkwassers geht, sind unsere ersten Sensoren bisher die Menschen zu Hause.
Auch wenn Zwischenfälle bei der Qualität selten sind und sich unsere Kunden auf sicheres und gesundes Leitungswasser verlassen können, klingt das nicht richtig. Besonders, wenn man unser Produkt mit dem Rest der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie vergleicht. Dort gibt es immer einen Qualitätscheck bevor das Produkt die Fabrik verlässt. Und unser Qualitätscheck ist zwei Tage später.
Für einen nachhaltigen Wasserverlust
SCC: Eine Studie von TaKaDu, einem internationalen Wasser-Monitoring Unternehmen zeigt, dass Länder mit niedrigem Wasserpreis hohe Wasserverluste aufweisen. Oder anders gesagt: Wo Wasserpreise zu niedrig sind, wird Wasser nicht nachhaltig verwendet. Auch von Trinkwasseranbietern. Stimmen sie mit dieser Feststellung überein? Driessen: Überhaupt nicht. Wir haben relativ niedrige Wassertarife in Holland. Ein Kubikmeter (1.000 l) kosten ungefähr einen Euro. Und trotzdem haben wir einen der niedrigsten „Non-Revenue Water“-Werte der ganzen Welt. Nämlich um die sechs Prozent. Ich denke, worauf TaKaDu anspielt ist: Wenn du zu wenig Rendite verlierst, dann gibt es keinen Anreiz für dich in deine Anlagen zu investieren.
SCC: Genau. In diesem Sinne wäre es billiger einfach neues Wasser nachzupumpen, als die gesamte oder große Teile der Infrastruktur zu erneuern.
Driessen: Dem stimme ich nicht zu. Der Wert unserer Infrastruktur bei Vitens liegt bei fünf oder sechs Milliarden Euro. Wenn wir der nicht genügend Aufmerksamkeit widmen, sind unsere Anlagen bald außer Kontrolle. Wir würden 20, 30, 40, 50 Prozent Non-Revenue Water haben. Und dann reden wir über einen ernsthaften Verlust. Aber ich glaube auch nicht, dass es eine Diskussion um Verlust ist. Ich denke, es ist eine Sache der Verfügbarkeit. London ist dafür ein gutes Beispiel. Jeder denkt, dass es in London andauernd regnen würde. Aber die Menge an Regen ist geringer als in Rom! London kämpft mit ernsthafter Wasserknappheit und angesichts der steigenden Nachfrage müssen sie etwas tun.
Dort haben sie zwischen 30 und 40 Prozent Wasserverlust, also Non-Revenue Water. Und zur selben Zeit steigt die Nachfrage und sinkt die Verfügbarkeit von Wasser. Es geht also gar nicht um Wassertarife. Es ist eine Sache von Verfügbarkeit. Angenommen, du sagst „Wasser wirft keinen Gewinn ab, also lass es laufen“, dann wirst du in ein paar Jahren 50, 60, 70 Prozent Non-Revenue Water haben. Die Studie von TaKaDu zeigt eine Korrelation, die man vielleicht erwarten würde aber ich denke nicht, dass die wirklich existiert.
SCC: Aber die Leitungen und die gesamte Infrastruktur sind über die Jahre immer älter geworden. Warum ist da nichts passiert? Driessen: Ich denke in der Vergangenheit hat es einfach an Informationen über die Lebenszeit und den Zustand von Leitungen gefehlt. Genau genommen hat jeder gewartet, bis die Probleme angefangen haben. Wie in London. Dort haben die Probleme bereits begonnen und wir in Holland sind in der glücklichen Position, dass unsere Probleme erst in zehn oder 20 Jahren auf uns zukommen werden. Wir haben noch Zeit zu reagieren.
Mittlerweile kennt jeder in Europa das Phänomen, dass unsere unterirdischen Leitungen älter und älter werden. Und dass sie irgendwann alle auf ein Mal oder in einem bestimmten Zeitfenster erneuert werden müssen. Wir wissen das alles, weil es in manchen Ländern bereits passiert. Ich denke, dass ist die einfachste Erklärung dafür, dass wir jetzt dort stehen, wo wir sind.
SCC: Welcher Prozentsatz an Wasserverlust ist in Ihren Augen Teil eines nachhaltigen Verlusts? Driessen: Natürlich so wenig wie möglich. Aber ich denke es ist realistisch einen Verlust um die fünf Prozent anzupeilen. Ich habe auch Hausnummern gehört wie: „Unter 15 Prozent solltest du nicht in neue Infrastruktur investieren“; aber wenn wir über einen nachhaltigen Verlust sprechen, dann denke ich, sollte der bei fünf Prozent liegen.
Erik Driessen ist seit August 2012 Innovation Manager bei „Vitens“, dem größten Trinkwasserunternehmen der Niederlande. Davor arbeitete er als Business Developer bei zwei Wasser-Start-Ups und war Consultant für Industrielles Wassermanagement bei „Royal Haskonig“ (heute: „Royal HaskonigDHV).
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Interessiert mehr über dieses Thema zu erfahren? Lesen Sie: „Trübe Gewässer“
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