Österreich muss sich sanieren

Allgemein

Wenn Österreich seine Klimaziele erreichen will, muss es seinen Wohnbestand sanieren. Ein Bürger:innen-Projekt aus Linz zeigt wie es geht.

SCC: Das Mehrparteienhaus 18/20 in der Linzer Kaisergasse gilt jetzt schon als Klimavorbild. Grund dafür ist ein groß angelegtes Sanierungs- und Klimaprojekt. Helwin Prohaska hat das Projekt maßgeblich initiiert. Hallo Helwin.

Prohaska: „Hallo Michel, es freut mich über unser Projekt berichten zu dürfen! Es war im ersten Schritt aber ein Evaluierungsprojekt, das dann eine Sanierung, beziehungsweise klimarelevante Maßnahmen anstoßen sollte.“

SCC: Das heißt, der Ausgang ist noch offen. Ziel ist aber euer Mehrparteienhaus klimafit zu machen. Etwa mit einer großen Photovoltaikanlage auf dem Dach. Wie ist es überhaupt zu dem Projekt gekommen?

Prohaska: „Als ehemalige Klimaaktivisten kannten Julia Wiesinger, die das Projekt mit mir angestoßen hat, und ich folgende Vorwürfe gut: ‚Ihr demonstriert zwar, aber ihr tut ja in Wirklichkeit gar nix.‘ Insofern wollten Julia und ich mit gutem Beispiel voran gehen und da ansetzen wo wir wohnen. Außerdem wollten wir darauf aufmerksam machen, dass die Industriestadt Linz bald sehr viel mehr erneuerbaren Strom brauchen wird, um in Zukunft CO2-neutral zu werden. Generell hat Oberösterreich in dieser Hinsicht eine große Herausforderung vor sich. „

Eine Million Photovoltaikdächer bis 2030

SCC: Über den Energiebedarf möchte ich gleich sprechen. Vorher aber: Gerade ein Mehrparteienhaus halten Viele für eine schwere Aufgabe, weil man verschiedene Interessen abstimmen muss. Mit welchen Bedenken habt ihr euch auseinandergesetzt?

Prohaska: „Es stimmt. Aber nur weil es eine schwere Aufgabe ist, dürfen wir uns nicht davor drücken. Klimaministerin Leonore Gewessler will eine Million Photovoltaikdächer bis zum Jahr 2030. Um das zu schaffen, müssen wir alles mobilisieren!

Zu Anfang haben uns viele Parteien aus unserem Wohnhaus nicht geglaubt, dass wir das alles
aus Überzeugung und nicht für Geld machen. An eine Frage kann ich mich noch gut erinnern: ‚Habt ihr nichts Besseres zu tun haben als euch um Klimaschutz in einem Wohnhaus zu kümmern?‘ Auch haben wir schnell verstanden was manche der Eigentümer:innen mit ’schwieriger Kommunikation innerhalb der Hausgemeinschaft‘ meinen. Hier sind in den letzten 20 bis 30 Jahren wegen diverser Streitereien einige Kommunikationshürden entstanden. Deswegen hatten manche im Haus keine Hoffnung, dass Projekte wie unseres schnell erfolgreich umgesetzt werden könnten. Und länger wollte sich damit auch niemand befassen.

Aber nicht nur Zwischen den Bewohner:innen bzw. den Eigentümer:innen sondern auch die Hausverwaltung hat hier leider ein paar Dinge anbrennen lassen. Es ging oft um die Angst vor unerwarteten Kosten, um die Parkplätze und um Kleinigkeiten. Der Klimawandel ist hier bei vielen gar kein Thema gewesen. Umso wichtiger ist es, dass Thema endlich sickern zu lassen.

Nach der Präsentation des Projekts bei der Eigentümer:innenversammlung im Mai 2021 haben sich viele von den erst kritischen Eigentümer:innen für unser bisheriges Engagement bedankt; ein bisschen augenzwinkernd: ‚Wir sind halt ein schwieriges Haus.‘ Unsere Bedenken, dass es mit den eine Millionen Dächern nicht so schnell gehen wird, wie sich einige vielleicht wünschen würden, haben wir bestätigt bekommen. Es braucht viel mehr Menschen, die sich trauen Klimaschutz im eigenen Wohnhaus zum Thema zu machen!“

„Wieso sollte die Hausgemeinschaft das bezahlen?“

Eine großflächige PV-Anlage, eine E-Ladestation, Dachbegrünung und weitere Maßnahmen sollen die Kaisergasse klimafit machen. c) Energiewende Linz

SCC: Schon vergangenes Jahr sollte auf dem Dach eures Wohnhauses eine großflächige PV-Anlage installiert werden. Ein Nebengebäude soll begrünt werden. Welche Maßnahmen sind geplant? Welche kommen?

Prohaska: „Im Zuge unserer Evaluierung haben wir festgestellt, dass das Dach noch nicht mal thermisch isoliert ist. Das muss noch vor der PV-Anlage passieren, aber hier sind wir dran. Danach werden wir auch wieder die PV-Anlage ins Gespräch bringen. Nur, die Rahmenbedingungen ändern sich gerade laufend, besonders in Bezug auf die Strompreisentwicklung und manche Gesetzesänderungen.

Die Dachsanierung und Begrünung am Anbau wird im Frühjahr noch erledigt. Den Preis habe ich von der Firma Miele erfahren. Dagegen ist die PV-Anlage günstig und finanziert sich auch noch selbst! Beim Thema Ladeinfrastruktur haben wir einen anderen Weg gewählt und beschlossen, dass es eigentlich im ersten Schritt eine öffentliche Basisinfrastruktur in solchen Siedlungen geben muss, damit die Leute nicht erst ein E-Auto kaufen können wenn sie sich Monate mit der Ladestation befasst haben. Das muss man ja beim Verbrenner auch nicht machen. Da gibt es einfach Tankstellen. Daraus ist inzwischen ein österreichweites Forschungsprojekt entstanden, welches vielleicht heuer noch startet.“

SCC: Spannend. Aber ganz allgemein: Die Kosten für die Veränderungen am Haus (ohne PV-Anlage) liegen bei rund 60.000 Euro. Wieso sollte die Hausgemeinschaft das zahlen?

Prohaska: „Ein 50 Jahre altes Haus zukunftsfit zu bekommen bedarf gewisser Investitionen. Die hätten sich aber schon längst rentiert. Nehmen wir beispielsweise die Dachisolierung. Die kostet nun einmal rund 30.000 Euro. Nur, wäre das Dach vor 15 Jahren isoliert worden, hätte man sich wesentlich mehr an Heiz- und Betriebskosten gespart.

Weiters müssen für die PV-Anlage einige elektrische Anlagen erneuert werden, aber in einem 50 Jahre alten Haus wären diese Sanierungen sowieso fällig geworden. Wenn man in Zukunft am Dach vielleicht noch Klimageräte installiert oder eventuell Ladestationen für E-Autos auf den Parkplätzen notwendig werden, muss dann kein Geld mehr für die Elektrik im Haus investiert werden.

Zusätzlich fehlt dem Dach eine Absturzsicherung, eine Investition die ebenfalls gesetzlich vorgeschrieben ist, sobald Dinge wie Klimaanlagen, Lichtkuppeln, PV-Anlagen oder ähnliches am Dach gewartet werden müssen. Der Kostenpunkt liegt hier bei 10.000 Euro. Zusammenfassend sind 60.000 Euro erst einmal viel Geld, aber die Investitionen hätten irgendwann getätigt werden müssen. Darüber hinaus verursacht das nicht isolierte Dach auch in diesem Winter wieder zusätzliche Heizkosten.“

Das Projekt wäre ohne Förderung nicht machbar

SCC: Euer Projekt ist das erste seiner Art, das vom Linzer Klimafonds gefördert wird. Wie war die Antragstellung für euch?

Prohaska: „Die Antragstellung war einerseits natürlich sehr spannend weil es keine Erfahrungswerte gab, aber auch so niederschwellig, dass wir keine Bedenken hatten. Der Klimakoordinator der Stadt Linz, Oliver Schrot, hat uns unterstützt und auf all unsere Fragen Antworten geben können. Außerdem hatte Julia schon viel Erfahrung mit Projektanträgen. Es war eine super Erfahrung und deshalb war auch die zweite Einreichung für Phase 2 von 3 naheliegend. Nachdem die Stadt Linz 2025 zum ‚European Green Capital‘ werden möchte, braucht es vermutlich noch viel mehr solcher Projekte!“

SCC: Wäre das Projekt ohne die Förderung für dich überhaupt machbar gewesen?

Prohaska: „Nein, ohne die Förderung hätten sich Julia und ich sicher auf andere Projekte konzentriert und vielleicht gar nicht zusammen gearbeitet. Ursprünglich wollten wir ja nur ein paar tausend Euro damit wir ‚ohne Kosten zu verursachen‘, mit einem Statikgutachten beweisen können, dass das Hausdach für eine PV Anlage bestens geeignet ist. Daraus ist dann eben ein bisschen mehr geworden (lacht).

Ganz grundsätzlich ist vieles von dem nur möglich gewesen weil ein gewisser finanzieller Puffer durch meine Arbeit vorhanden war. Viele junge Klimaaktivist:innen haben diesen Luxus nicht. Hier wollen wir mit einem Projekt namens ‚Klimakarenz‘ gegensteuern. Oder ganz grundsätzlich: Wir können die Klimakrise nicht in der Freizeit und im Ehrenamt bewältigen, wenn auf der anderen Seite noch immer Leute in Vollzeit und hauptberuflich darauf pfeifen.“

Neue Gesetze für Klimaprojekte

SCC: In Österreich werden pro Jahr nicht einmal ein Prozent des Gebäudebestands saniert. Zwei Prozent wäre das Ziel. Was würde die Sanierung leichter machen?

Prohaska: „Echte, erfolgreich umgesetzte Projekte, die man auch wirklich herzeigt, bewirbt und damit beweist, dass so etwas möglich ist und dass diese Projekte etwas bringen. Es war schockierend zu sehen, dass in dem Haus auf eine zeitgemäße Dachisolierung verzichtet wurde, trotz der Tatsache, dass vor 17 Jahren das Kupferdach komplett saniert wurde.

Eine flächendeckende Potentialerhebung, angestoßen durch engagierte Bewohner:innen, wäre auch sehr interessant. Nämlich, wenn die Ergebnisse auch an die Bewohner:innen rückgeführt werden und nicht nur in der Statistik landen. Weiters gibt es vermutlich sehr viele Möglichkeiten.

In unserem Fall war die konservative Haltung der Hausverwaltung die erste Hürde. Es bestand anfangs wenig Interesse uns bei dem Projekt zu unterstützen, weil man davon ausging, dass die Eigentümer:innen aufgrund der Kosten kein Interesse an dem Projekt  haben. Teilweise auch, weil die Wohnungseigentumsrechtslage falsch interpretiert wurde. Uns wurde anfangs gesagt dass wir überall 100% Eigentümmer:innenzustimmung brauchen, was schlicht falsch ist.

Das Pilotprojekt soll die Kaisergasse auch lebenswerter machen. c) Lisa Ackerl

Viel Potential ist also bei den Hausverwaltungen direkt. Aber dazu muss gezeigt werden, dass so ein Projekt möglich ist und man auch damit rechnen kann, dass die Mieter:innen oder Eigentümer:innen das Projekt unterstützen. Wenn zumindest einmal flächendeckend PV-Anlagen im Neubau vorgeschrieben sind, wird es auch im Bestand einfacher solche Dinge zu fordern. Mit den Gesetzesänderungen im WEG und EAG haben sich hier einige spannende Möglichkeiten ergeben. Aber es wird dauern bis das allgemein bekannt wird.“

SCC: Gutes Stichwort. Mit Jahresanfang ist die Novelle des Wohnungseigentumsgesetz (WEG) in Kraft getreten. Davor das Erneuerbaren Energieausbaugesetz (EAG). Was ändert sich dadurch für Projekte wie eures?

Prohaska: „Wir sind gerade dabei uns in die Details einzuarbeiten und versuchen die dadurch entstandenen Möglichkeiten zu nutzen. Beispielsweise gibt es für Ladestationen, soweit ich das verstanden habe, eine sehr spannende Möglichkeit: Es muss nicht mehr von allen Eigentümmer:innen eine Zustimmung eingeholt werden, sondern umgekehrt kann das Errichtungsvorhaben bekannt gegeben werden und wenn nicht innerhalb einer gewissen Frist mehr als 1/3 der Eigentümmer:innen Einspruch erhebt, kann das Bauvorhaben umgesetzt werden. Auch für PV Anlagen und generell Sanierungsvorhaben wurden Erleichterungen eingeführt.

Das EAG ermöglicht, über die Gründung von Erneuerbaren Energiegemeinschaften den Strom der PV-Anlage innerhalb der Nachbarschaft direkt zu verkaufen. Hier hilft natürlich auch der aktuell sehr hohe Strompreis um attraktive Angebote machen zu können. Problematisch ist aber, dass es kleineren Initiativen schwerer gemacht wird, weil gewisse Förderschienen wegfallen. Die langjährigen Förderverträge, die die Stromabnahme zu einem halbwegs rentablen Preis garantieren sind passé. Jetzt gilt es so günstig wie möglich eine Anlage zu errichten, um sie mit den Marktpreisen möglichst gut abbezahlt zu bekommen. Dadurch entsteht in meinen Augen schon wieder zu früh ein Konkurrenzdenken.“

Ähnliche Projekte in Linz

SCC: Ein Ziel des Projekts Kaisergasse ist es, den Linzer:innen Erfahrungswerte an die Hand zu geben. Wie ist der Austausch mit Bürger:innen der Stadt zu eurem Projekt?

Prohaska: „In Phase 1 waren wir sehr darauf bedacht, keinen großen Tumult zu machen, um die Eigentümer:innen im Haus nicht zu verschrecken oder sie zu überrumpeln. Hier hatten wir ganz zu Anfang des Projekts schlechte Erfahrungen mit einer Presseaussendung gemacht. Wir haben aber trotzdem Werbung für das Projekt gemacht und auch einige Leute motivieren können.

Konkret ist daraus einerseits ein Leitfaden für ähnliche Projekte entstanden sowie das Klimafondsprojekt ‚Leibnitzhof‘. Ein Gebäude aus dem Jahre 1949, in dem eine Gruppe engagierte Bewohner:innen ebenfalls einige Klimamaßnahmen evaluieren und umsetzen möchte.

In Phase 2 und 3 geht es jetzt explizit darum möglichst viele Leute dazu zu motivieren etwas ähnliches zu starten. Dazu planen wir gerade einige Veranstaltungen und Kooperationen. Und freuen uns natürlich auch über solche Gelegenheiten wie heute!“

SCC: Sehr gerne! Was tut sich dieses Jahr noch in der Kaisergasse?

Prohaska: (lacht) „Gute Frage! Dank dem Lockdown und der Situation mit Omikron müssen wir den Ball gerade etwas flach halten, sind aber schon fleißig am planen. Ein paar Dinge kann ich schon verraten: Wir wollen Siedlungsbewohner:innen die Möglichkeit bieten, sich einmal mit verschiedenen E-Autos zu befassen und wir planen ein Vereinsfest, wo wir unsere Ideen der Siedlung vorstellen möchten. In Zusammenarbeit mit dem Projekt ‚StadtKlimaVision‘ wird es auch noch spannende Anknüpfungspunkte geben!“

SCC: Was ist eigentlich deine Motivation, die Kaisergasse zu einem möglichst klimafreundlichen Wohnhaus zu machen?

Prohaska: „Ich will einmal anfangen etwas zu tun. Die Lösungen für die Klimakrise liegen schon seit Jahren am Tisch, aber Veränderung ist ungemütlich und deshalb passiert zu wenig. Es gibt seit 2017 ein Gesetz, dass es ermöglicht den Strom einer PV-Anlage im eigenen Wohnhaus zu verteilen. In ganz Österreich gibt es aber erst rund 200 solcher Anlagen. Das wollen wir und viele andere, die ähnliche Projekte aufziehen ändern! Die Zeit läuft uns davon! Linz hat als Industriestadt mit der Energiewende eine gewaltige Herausforderung vor sich. Wenn wir die bewältigen wollen, müssen alle, denen daran gelegen ist, dass wir auch in Zukunft in einer lebenswerten Stadt wohnen können etwas dazu beitragen!“

SCC: Vielen Dank Helwin Prohaska vom Pilotprojekt Kaisergasse und dem Verein Energiewende Linz!

Helwin Prohaska wohnt seit fast zehn Jahren in Linz. In der Automatisierungsbranche hat er miterlebt, wie schnell andere Länder auf Klimaveränderung reagieren. Seitdem will er dazu beitragen, dass Österreich den Anschluss nicht verliert. Nach einem zweijähriges Studium der Physik an der Johannes Kepler Universität Linz hat Prohaska beschlossen die Entwicklung eigener Projekte voranzutreiben. Das Pilotprojekt Kaisergasse war der erste Schritt. Daneben gibt es unter dem neu gegründeten Verein „Energiewende Linz“ weitere Projekte.

 

Helwin Prohaska ist am 02. Februar auf LinkedIn live im Gespräch mit SmartCitiesConsulting.eu. Verfolgen Sie das Gespräch live im Stream und stellen Sie Ihre Fragen!

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