„Wetter wie in Florenz“: Wien plant seine Klimazukunft bis 2100

Stadtentwicklung

36 Grad im Schatten. Der Asphalt der Stadt flimmert. Ältere Menschen warten erschöpft an einer Haltestelle auf den Bus oder die Straßenbahn. Sonst sind die Straßen fast leer. Schützende Bäume oder Springbrunnen gibt es in manchen Gegenden nur vereinzelt. Wer kann, geht erst gar nicht hinaus. Wenn der Hochsommer in der österreichischen Hauptstadt Wien Einzug hält, dann kommt das Leben in manchen Teilen fast schon zum erliegen.

Abendliches Thermalbild der Stadt Wien. Deutlich erkennbar sind die heißen (roten) Bereiche im Vergleich zum kühleren Umland (blau). © Wiener Umweltschutzabteilung. Magistratsabteilung 22.

In der Biotope-City, einem neu geplanten Bauprojekt in der 1,9 Millionen-Einwohner-Stadt Wien, wird das anders werden. Wenn hier die heißen Südwinde an einem Sommertag auf die Gebäude treffen, dann kühlen sie ihn bis um drei Grad hinunter.

Der Grund ist die umfangreiche Berücksichtigung von Grünflächen. Das Wohnprojekt, das 2019 fertig sein soll, wird die Lebensqualität erhöhen und die Stadt besser gegen Wetterextreme schützen.

„Wir wollen das Klima von Wien kennen“

„So ein Projekt ist gut für die unmittelbare Umgebung. Uns interessiert aber, was passiert, wenn wir überall in der Stadt solche Projekte verwirklichen. Wir wollen wissen, wie das Klima der ganzen Stadt beeinflusst wird“ Florian Reinwald ist Senior Scientist an der Universität für Bodenkultur (BOKU) am Institut für Landschaftsplanung. Er betreut das Projekt Green.Resilient.City, das sich zur Aufgabe gemacht hat das Klima der ganzen Stadt zu planen.

Das könnte aber noch ein harter Weg werden. Während Grünflächen bei neuen Bauprojekten in Metropolen auf der ganzen Welt Pflicht sind, war das in Wien bisher zwar gewünscht aber optional. Grund ist der Bestand an vielen Geäuden aus der Wiener Gründerzeit zu Beginn des 20ten Jahrhunderts. Herausgekommen sind dabei Stadtteile wie das „Kretaviertel“, in dem Blumenwiesen allenfalls mit Kreide auf einen freien Parkplatz gemalt wurden.

Mehr grüne Flächen in der Großstadt

Die BOKU hat deshalb den „Grün- und Freiflächenfaktor“ ins Leben gerufen. Er soll, wie in anderen Städten, einen verpflichtende Anteil grüner Infrastruktur bei neuen Bauprojekten etablieren. Darunter fallen etwa Dachgärten, bepflanzte Hauswände oder Bäume auf den Straßen der Stadt. „Allerdings gehen wir einen entscheidenden Schritt weiter“, so Florian Reinwald.

Gemeinsam mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) haben die ForscherInnen der BOKU ein Instrument gebildet, mit dem sich die Auswirkungen aller Grünflächenprojekte simulieren lassen. „Was würde es bewirken, wenn wir in der Stadt zehn Prozent mehr Grünflächen haben?“, fragt Reinwald. „Wir geben also nicht nur einen Prozentsatz an Grünflächen vor, sondern koppeln diesen direkt an die Klimaziele der Stadt.

Damit aber noch nicht genug. Denn es wird nicht nur die derzeitige Klimasituation prognostiziert, sondern auch zukünftige. Das „Austrian Institute of Technology“ (AIT) stellt eine Simulation zur Verfügung mit der in einem zweiten Schritt auch das zukünftige Klima von Wien gezeigt werden kann. „Damit können wir berechnen, welche Auswirkungen unsere Stadtplanung auf das Wien der Jahre 2050 oder 2100 haben”, sagt Reinwald. Wie wichtig dieser Schritt ist, zeigen zahlreiche Studien. „Es gibt Simulationen, die Wien im Jahr 2050 Wien ein Klima wie in Florenz voraussagen.

Projekte in der Seestadt und im Kretaviertel

Getestet wird dieses Modell bereits in zwei Stadtteilen. Zum einen in dem dicht verbauten Kretaviertel zum anderen in einem komplett neuen Stadtentwicklungsgebiet im Südosten von Wien. Der Seestadt Aspern.

Die Seestadt Aspern ist eines der größten Stadtentwicklungsgebiete in Europa seit 2010. Bis 2030 sollen hier jeweils 20.000 Menschen wohnen und arbeiten ©shutterstock

Die Seestadt Aspern ist eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas seit 2010. Innerhalb von 20 Jahren soll hier ein komplett neuer Stadtteil entstehen, in dem jeweils über 20.000 Menschen wohnen und arbeiten. Die erste von drei Entwicklungsetappen konzentriert sich auf den Süden des Stadtteils und soll 2020 abgeschlossen sein.

Die nördliche Seite ist dagegen noch weitgehend in der Planung. In einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb hat die BOKU die Möglichkeit bekommen den Grün- und Freiflächenfaktor zu testen. „Um für das Bauprojekt in Frage zu kommen, müssen mindestens 60 Prozent der verbauten Fläche grüne Infrastruktur aufweisen“, so Reinwald. Die sechs Finalisten des Wettbewerbs werden dann in einem zweiten Schritt vom Partnerprojekt „green4cities“ überprüft. Ihr sogenannter „Greenpass“ (powered by ENVI-met) berechnet die Wirkung von Bauprojekten auf das Klima rund um die neuen Gebäude und kann auch Empfehlungen zur Optimierung abgeben.

„Heat in the City“: Greenpass simuliert die Umgebungstemperatur von Baustrukturen in der Stadt. Hier eine ENVI-met® Simulation aus dem Stadtentwicklungsgebiet Seestadt. ©green4cities GmbH + ENVI-met®

Nicht Alle akzeptieren mehr Grün

Ganz anders ist der Weg dagegen im Kretaviertel. In dem dicht verbauten Gebiet stehen noch viele Gebäude aus der Wiener Gründerzeit. An Grün- und Freiflächen wurde damals wenig gedacht. Hitzeperioden und extreme Regenfälle treffen dieses Viertel heute besonders hart.

„Wie schaffen wir das, extreme Regenfälle möglichst lang zurückzuhalten, um nicht noch zusätzlich Kanäle oder Kläranlagen bauen zu müssen?“ skizziert Reinwald ein Problem. „Grün und Freiflächen können hier einiges verbessern. Aber in gewachsenen Strukturen vorzugehen ist ungleich schwieriger. Das mehr Grün überall von allen akzeptiert wird, ist ein Trugschluss“

Für eine klimaresiliente Stadt braucht es alle

Hauswände zu begrünen ist oftmals eine gute Lösung. Allerdings stellen sich hier viele rechtliche Fragen. Wer haftet, wenn ein Teil der Fassadenbegrünung herunterfällt? Wer pflegt die Grünfläche? Wer kommt für die Sanierung der Wand auf und wer bezahlt das Projekt? „Bei Gebäuden mit Eigentumswohnungen ist das Problem sogar noch größer“, sagt Reinwald. „Hier muss die Entscheidung nämlich einstimmig fallen.“

Allerdings beobachtet Florian Reinwald langsam ein Umdenken in der Bevölkerung. „Seit fünf oder sechs Jahren merkt man das in der Kombination mit der Hitze und mit dem starken Stadtwachstum. Mit dem Verlust von Grün und Freiräumen sind die Wienerinnen und Wiener jetzt ein bisschen sensibilisierter“, lacht Reinwald. Für eine erfolgreiche Klimastrategie geht es aber nur, wenn die Bevölkerung das auch will. „Da braucht es uns als Forscher, da braucht es die Bevölkerung und da braucht es auch die Stadt dazu. In diesem Dreieck bewegen wir uns.“

 

Links:

Universität für Bodenkultur Wien – Institut für Landschaftsplanung und Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung

green4cities GmbH

ZAMG

AIT – Projekt Green.Resilient.City

wien3420 – Seestadt Aspern

MA 22 – Umweltschutz

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