Das Leben auf der Baustelle
…was macht eigentlich… die Seestadt?
Vor acht Monaten sah es hier noch ganz anders aus – bis heute hat sich viel getan: wo einst Flachland und Rohbauten waren, stehen nun fertige Häuser. Und darin wohnen sie – die ersten Bewohner der Seestadt Aspern. Das macht die Stadt, die aus dem Nichts entstand, zu einem neuen Bezirk von Wien.
Von September bis heute sind schon über 1000 Bewohner eingezogen, sowohl in Eigentums- als auch in Miets- bzw. Genossenschaftswohnungen. „Wir waren von Anfang an dabei, haben mitgeplant und sind stolz auf unseren neuen, selbst kreierten Lebensmittelpunkt“, sagt der Familienvater, der mit seinen Kindern gerade vom Spielplatz kommt. Ein paar Kinderfreundliche Parks gibt es nämlich schon zwischen den gerade errichteten Wohnblöcken. „Dennoch wird es langsam Zeit, dass der Kindergarten öffnet. Wenn das im September nicht geschieht, dann werd ich sauer.“ Ein missglückter Zeitplan ist offenbar öfters Kritikpunkt, lässt sich bei den Bewohnern heraushören.
Frau Valitzky wohnt erst seit zwei Monaten in der neuen Stadt, in einer Genossenschaftswohnung. „Ich habe die Wohnung ganz spontan übers Internet bekommen. Jetzt hat meine kleine Familie endlich genug Platz.“ Sie lebte vorher in der Wiener Innenstadt in einer Einzimmerwohnung. „Das geht mit Mann und Baby aber nicht. Hier zahle ich fast denselben Preis, allerdings für 30 m² mehr.“ Die 29-Jährige ist allerdings nicht so glücklich mit der Anbindung: „Nur jede zweite U2 fährt in die Seestadt, meist holt mein Mann mich mit dem Auto von der U-Bahn ab, da es bis zur Wohnung nochmal 15 Minuten zu Fuß sind. Glücklicherweise fahren aber jetzt auch Busse.“
Einmal ins Auto gestiegen, findet man danach nämlich nicht so leicht wieder einen Parkplatz. „Häuser bauen sie schnell, aber mit den dazugehörigen sechs Parkhäusern und Garagen lassen sie sich Zeit.“ Unzähliche Beantragungen für einen von 1.900 Parkplätzen liegen vor, aber die Stadt ist langsam im Genehmigen. Noch in diesem Jahr sollen südlich des Sees rund 550 Parkplätze zur Verfügung gestellt werden, „bis dahin dient ein provisorischer Parkplatz als Übergangslösung“, heißt es von der Stadt Wien.
Und der Lärm? „Klar, unter der Woche ist hier schon was los, aber das ist doch in der Innenstadt auch nicht anders. Irgendwann hört man den Baulärm gar nicht mehr. Und die Kinder finden’s klasse, den Baggern und Kränen zuzusehen. Dafür herrscht hier am Wochenende Totenstille. Fast wie am Land.“
Spaziert man hier am Wochenende durch die leeren Straßen, kommt es oft zu Wegversperrungen durch Zäune. „Da muss man erst einmal wieder den Ausgang finden“, lacht Frau Valitzky. Doch die Kinder haben Spaß. Es ist spannend zu sehen, wie es hier jeden Tag voran geht.“
Die Häuser stehen. Die Läden fehlen. „Das ist auch nicht gerade durchdacht. Es gibt zwar etwa 15 Minuten entfernt, außerhalb der Seestadt, einen Spar und einen Hofer, aber außer einem Minimarkt, bzw. einem Süßigkeitenladen ist hier noch nichts.“ Somit ist man in der umweltschonenden, „autofreien Stadt“ eigentlich noch immer aufs Auto angewiesen. In Facebook-Gruppen wird dem Ärger Luft gemacht. Aber ansonsten hält das soziale Netzwerk auch Kontaktmöglichkeiten bereit: Nachbarn und Seestadt Mamis lernen sich hier kennen.
Die 240 ha große Fläche steht in Zukunft 20.000 Menschen zur Verfügung und wird „Stadt für den Lebensstil des 21. Jahrhunderts“ genannt. Wohnen, Arbeiten und Freizeit werden hier in vielen (Kultur-)Projekten vereint. Sie nimmt dann im Thema Nachhaltigkeit in Europa die Vorreiterrolle unter den energieeffizienten Städten ein. Bis zum Sommer sollen insgesamt 2400 neue, architektonisch vielfältige Wohnungen bezogen werden, bislang sind 420 der geplanten 10.500 Wohnungen bezugsbereit. Angekündigt waren letztes Jahr nur 8.500 Wohnungen – das Baufieber ist wohl nicht zu stoppen.
Fotos: DM
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