Klima-Feature Kenya: Der Landwirt muss seine Umwelt kontrollieren

Klima

In Kenya herrscht die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Sich anzupassen erfordert lang gepflegte Traditionen aufzugeben.

Kadaver so weit das Auge reicht. Die Weide des Viehierten Saruni im Kajiedo County in Kenya, Afrika, ist über und über mit den Körpern toter Kühe bedeckt. Seine Kühe. Bis vor wenigen Wochen graste hier noch eine stolze Herde von über 100 Tieren. Ein Zeichen von Wohlstand für den Angehörigen des Volksstamms der Massai. Jetzt riecht die heiße Luft nach Verwesung, während die Sonne beständig auf die vertrocknete Vegetation brennt.

Tote Kühe liegen neben noch lebenden. Kenya erlebte zum Zeitpunkt der Aufnahme eine der schlimmsten Dürren seit 40 Jahren.

In Kenya herrscht im März 2023 die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Fünf Regenzeiten in Folge sind nahezu komplett ausgefallen. Das bisschen Wasser, das im Winter vom Himmel gefallen ist, konnte die trockenen Weiden nicht ausreichend Wässern, das Absacken des Grundwasserspiegels nicht mehr aufhalten. Selbst die Brunnen geben kein Wasser mehr. 30 Tiere sind Viehirt Saruni noch geblieben. Aber es ist nur eine Frage der Zeit bis auch sie verenden: „Die Viehzüchter in diesem Gebiet. In dem Moment, in dem ihr Vieh verhungert, siehst du ihnen beim Sterben zu.“ Marisellah Moraa betont es immer wieder. In Kenya sterben Menschen. Sie verhungern.

Der Landwirt muss seine Umwelt kontrollieren

Die 40-jährige Professorin und Unternehmerin will die ständige Bedrohung durch den Klimawandel abmildern – zumindest für einige Menschen. Ihr Unternehmen „Easytech Farm Solutions Ltd.“ bietet einfach zu bauende Gewächshäuser für Viehhierten an. Die Idee: Anstatt auf große Viehherden und immer seltener werdende Regenfälle zu setzen, sollen Hirten in Kenya kleinere Herden mit gezüchtetem Futter aus dem Gewächshaus versorgen. Dies könne wassersparend in Gewächshäusern angebaut werden. Den Hirten böte es damit Möglichkeiten zur Planung: „Anstatt Dürren und Regenzeiten ausgeliefert zu sein, kontrolliert der Landwirt seine Umwelt“, sagt Marisellah Moraa. Die Idee klingt einleuchtend und einfach.  Doch die Dürre ist längst nicht das größte Problem für ihr Vorhaben.

Der Vorschlag von der Universitätsdozentin für Projektentwicklung an der Universität Nairobi, erfordert einen Paradigmenwechsel für die Traditionelle Lebenswelt der Viehierten der Massai. Rund 500.000 Menschen in Kenya gehören dem Volksstamm der Massai an. Sie leben seit dem 17. Jahrhundert in den extensiven Graslandschaften von Zentral- und Südkenya, traditionell in kleinen Dorfverbänden von bis zu 100 Personen. Die Massai sind noch heute häufig Viehhierten, viele leben halbnomadisch. Alle sieben Jahre wechselt eine Gemeinschaft den Lebensmittelpunkt, um Tiere in einem neuen Gebiet grasen zu lassen. Eine große Herde bedeutet für einen Massai nicht nur Milch und Fleisch für die eigene Versorgung. Vieh wird als Währung gesehen, etwa um bei einer Hochzeit die Familie des Bräutigams zu bezahlen. Eine große Herde bedeutet somit einen hohen Status.

„Eine tote Kuh hilft euch nicht weiter“

„Die Massai schätzen Tiere nicht wegen ihres wirtschaftlichen Wertes, sondern aufgrund eines kulturellen Wertes“, sagt Moraa. „Ein Massai wird es nicht wagen sein Vieh zu verkaufen, weil er diesen Reichtum um sich haben will.“ Selbst wenn die andauernde Dürre den Erhalt einer großen Herde unmöglich macht und den vermeintlichen Reichtum im Tagesrhythmus kleiner werden lässt. Der wichtigste Schritt von Marisellah Moraas Arbeit ist daher ein Umdenken einzuleiten: „Vor jeder Dürre wird eine Landesweite Dürrewarnung herausgegeben. Wir sagen den Bauern: ‚Wartet nicht, bis eure Kühe sterben. Verkauft die guten Kühe, und zwar sehr schnell.‘ Wir sagen ihnen: ‚Bringt das Geld auf die Bank. Ihr braucht das Geld, denn wenn die Kuh tot ist, hilft das nicht weiter. Wenn ihr das Geld stattdessen in Initiativen wie diese steck, werden eure Kühe immer etwas haben, wovon sie überleben können.“

Die Anpassung an den Klimawandel bedarf eines grundlegenden Wertewechsels für die Massai. Einer neuen Sichtweise und die Abkehr von kultivierten Traditionen. Dies ist bei weitem der größte Schritt, den die Unternehmerin zu setzen hat. Damit es gelingt, arbeitet die sie mit den Dorfältesten der Gemeinschaften zusammen. Sie sind die diejenigen, die alle Details über Viehbestand und Pläne ihrer Gemeinschaft kennen. Ist ein Dorfältester für Moraas Idee offen, lädt er sie zu einem Baraza, zu einer Dorfbesprechung, in der die Unternehmerin ihre Idee pitchen darf. Sind einige Viehhirten interessiert, können sie zu ihrer Demonstration Farm, nahe Nairobi kommen, auf der Moraa den Ablauf und die Zukunftsaussichten ihres Projekts erklärt.

Eine Demonstration Farm bei Nairobi

Auf ihrer Demonstration Farm bei den Ngong Hills im Süden der Hauptstadt Nairobi baut Marisellah Moraa ein Gewächshaus von 12×18 Metern, das Viehierten als Anschauungsprojekt dienen soll. Im Gewächshaus wird Sorghum angebaut. Sorghum ist derzeit das wichtigste Getreide Afrikas, da es schnell wächst und gut an trockenes Klima angepasst ist. In Europa eher unbekannt, gehört Sorghum weltweit zu den fünf Getreidesorten mit der größten Anbaufläche – nach Weizen, Mais, Reis und Gerste. Im Gewächshaus auf der Demonstration Farm wird es hydroponisch, also ohne Erde, in 1,2 Meter langen, 30 Zentimeter breiten Trays angebaut. Sorghum wächst schnell. Schon nach sieben Tagen ist eine „Matte“ fertig und kann zu einem kleinen Ballen zusammengerollt und gelagert werden. Mit etwas Wasser zu Silage gemischt, können zwei Sorghumballen pro Tag helfen, eine Kuh über die Dürre zu bringen.

Für die Ernährung großer Herden und über lange Zeit ist diese Methode nicht geeignet: „Aber“, sagt Moraa: „die Idee ist, dass sie in Dürrezeiten zehn Kühe haben, die sie über die Runden bringen. Und danach neue Kühe kaufen können.“ Rund 1.500 Euro kostet die Errichtung eines Gewächshauses, dass etwa 100 Kühe zumindest teilweise versorgen kann. Das ist viel Geld für einen einzelnen Viehhirten in Kenya – die Idee ist daher, dass sich mehrere Viehierten zusammenschließen und gemeinsam für Notzeiten vorsorgen.

Der Mais steht hoch. Bei genauerem hinsehen fällt auf, dass seine Blüten vertrocknet sind.

In Kenya ist jeder irgendwie von der Dürre betroffen

„Noch bis in die 2000er Jahre gab es in Kenya alle fünf Jahre eine Dürre. Die letzten zehn Jahre dagegen fast in jedem Jahr“, sagt Richard Muita, Assistant Director Climate Services, Research & Development des Kenya Meteorological Department. In regelmäßigen Fernsehauftritten spricht er über die prognostizierten Wetteraussichten seines Instituts und klärt Menschen über den Klimastatus seines Landes auf: „Es würde mehrere Monate mit Regenfällen benötigen, um die Defizite auszugleichen“, sagt er. Im Frühling 2023 sind alleine in Kenya über zwei Millionen Viehtiere aufgrund der Dürre verendet. Muita: „Seit den 70er Jahren ist die Durchschnittstemperatur in Kenya bereits je nach Region um 0,3 – 1,1 Grad gestiegen“. Betroffen ist davon in Kenya jeder irgendwie. Viele Eltern können aufgrund der ausfallenden Ernten zumindest Zeitweise Ausgaben für den Schulunterricht ihrer Kinder nicht aufbringen. Die Organisation „Save the Children“ schätzte im Dezember 2022, dass rund 3,5 Millionen Kinder wegen Dürre die Schule zeitweise nicht besuchen. Ohne Abschluss steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie von einem Beruf leben werden, der nicht mehr als 3 bis 4 Euro pro Tag abwirft.

Initiativen, wie die von Marisellah Moraa, die sich gegen diesen Teufelskreis stemmen, sind mehr als notwendig. Allerdings sind afrikanische Förderungen kaum vorhanden und schwer zu bekommen, sagt die Unternehmerin. Eine Förderung, rund 2.200 Euro, hat sie Anfang 2023 über Climate Kick erhalten, an dem die Irische Botschaft in Kenya beteiligt war. Eine weitere Förderung sucht sie noch.

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